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Tätowierte “Wilde” als Attraktion in Europa, 1560-1690: Teil I
Lars Krutak
Im Zeitalter der Entdeckungen, kamen mit Reisenden jeglicher Art – Entdeckern, Soldaten, Seemännern, Missionaren und Abenteurern – Bilder und Berichte über tätowierte Menschen aus anderen Kulturen nach Europa. Diese Berichte zeichneten ein klares Bild der kulturellen Unterschiede zwischen Europäern und den Eingeborenenvölkern und in diesen Darstellungen wurden die tätowierten Urvölker als Exoten stereotypisiert, als “primitiv”, “gottlos” und mit “Vieh” und “wilden Tieren” gleichgesetzt. Diese Beschreibungen verraten mindestens so viel über die Menschen, aus deren Feder sie stammen, wie über die Menschen, die beschrieben werden.
Die Stammesvölker galten nicht nur als Kuriositäten, die man “sammelte” und als Jahrmarkstattraktion ausstellte, sondern sie wurden als lebender Beweis dafür angesehen, wie weit unten “unzivilisierte” Völker auf der Evolutionsleiter standen. Die Darstellung der Völker in Kupferstichen, Lithografien, auf Ölgemälden und selbst auf Geschirr und Tisch-Accessoires (siehe Teil II dieser Serie) als exotische Menschen, nackt und in der Natur, überhöht durch Tätowierungen, war Teil eines stereografischen “Display-Sets”, dass die euro-westlichen Vorstellungen der Eingeborenen spiegelte als lebende “Artefakte”, die man zur Unterhaltung sammelte und manchmal auch um Profit zu machen.
Heute und in künftigen Blogs möchte ich mich mit der so gut wie vergessenen (und traurigen) Geschichte der tätowierten Völker beschäftigen, die aus ihrer Heimat verschleppt wurden und in Europas Hauptstädten einer ungewissen Zukunft entgegensahen.
Deshalb möchte ich heute auf die wahrscheinlich ältesten in Europa bekannte Darstellung der Inuit eingehen: Ein Holzschnitt, der 1567 in Augsburg gedruckt wurde. Er ist außerdem der erste Werbeflyer der Welt, denn mit ihm werden tätowierte “Wilde” als Jahrmarktattraktion angepriesen. Die Frau trägt traditionelle Hautstiche, sogenannte “Malzeichen” im Gesicht.
Die verschleppte Frau und ihr Kind wurden in Belgien zur Schau gestellt. Über ihr weiteres Schicksal ist nichts bekannt. Der Text enthielt viele Übertreibungen, unter anderem zur Körpergröße und die angeblich “kannibalistischen” Neigungen der Inuit. Offensichtlich wollte der Autor Aufsehen erregen, damit möglichst viele Menschen kommen und zahlen um die unglaublich einzigartigen, “wilden” und “bestialischen” Kreaturen zu sehen, die Tätowierungen trugen. Der deutsche Text lautete in etwa folgendermaßen:
(zum Vergrößern bitte auf das Bild klicken)
WAHRHAFTIGES KONTERFEI EINER WILDEN FRAU MIT IHREM TÖCHTERLEIN, GEFUNDEN IN DER LANDSCHAFT NOVA TERRA GENANNT UND NACH ANTWERPEN GEBRACHT, ÖFFENTLICH ZU SEHEN GEWESEN UND WEITERHIN ZU SEHEN
Im Jahre 1566 kam in Antwerpen mit einem Schiff aus Seeland eine wilde Frau an (eine kleine Person), zusammen mit ihrem Töchterlein und sie ist geformt und gekleidet wie auf diesem Bilde. Sie wurden gefunden in Nova Terra, so heißt die neue Landschaft, die von den Franzosen und Portugiesen erst vor wenigen Jahren entdeckt wurde. Auf diese Frau, ihren Mann und das Kindchen stießen die Franzosen (die mit dem Schiff in diese Landschaft gereist sind um fremde und wundervolle Dinge zu finden). Der Leib des Mannes wurde von einem Pfeil durchbohrt. Doch er wollte sich nicht gefangen nehmen lassen und verteidigte sich mutig; in diesem Scharmützel wurde er von einem anderen Franzosen durch ein Schlachtschwert schwer verwundet. Daraufhin nahm er sein eigenes Blut aus der seitlichen Wunde und leckte es aus seiner Hand und setzte sich daraufhin noch grimmiger zur Wehr als zuvor. Schließlich wurde er dermaßen heftig in der Kehle getroffen und verletzt, dass er zu Boden fiel und an seiner Verletzung starb. Der Mann war 12 Fuß groß (3,65 Meter) und hatte innerhalb von zwölf Tagen mit eigener Hand elf Menschen getötet, Franzosen und Portugiesen – um sie zu essen. Denn sie mögen kein Fleisch lieber als Menschenfleisch. Als sie die Frau ergriffen, wehrte sie sich als sei sie völlig rasend und wahnsinnig, denn sie hätte ihr Kind zurücklassen müssen wenn die Seemänner sie zum Schiff brachten. Es schien, sie wollte lieber ihr Leben verlieren als das Kind zu verlassen. Da sie gar so wahnsinnig wütete, ließen sie die Männer ein wenig in Ruhe und sie ging zu dem Ort an dem sie das Kind versteckt hatte. Danach war sie ruhiger, also nahmen sie die Frau und das Kind und führten sie hinweg. Keiner der Franzosen verstand auch nur ein Wort dessen, was sie sagte und niemand konnte mir ihr sprechen. Doch in 8 Monaten lehrte man sie genug um zu erfahren, dass sie viele Menschen gegessen hatte. Ihre Kleidung war aus Robbenfell gemacht, wie auf dem Bild ersichtlich. Die Malzeichen in ihrem Gesicht sind vollkommen blau, so blau wie der Himmel. Diese machen die Männer den Weibsbildern, damit sie sie erkennen, denn sonst laufen sie durcheinander wie das Vieh. Die Zeichen lassen sich mit keiner Flüssigkeit je wieder entfernen. Sie werden mit dem Saft eines Krauts gemacht, das im Land wächst. Ihr Körper ist gelb-braun, wie die halben Moore. Die Frau war 20 Jahre alt als sie gefangen genommen wurde im Jahr 66 im August, das Kind war 7. Lasst uns Gott dem Allmächtigen danken für seine Wohltat, dass er uns mit seinem Wort erleuchtet hat, so dass wir nicht so gar wilde Leute und Menschenfresser in dieser Landschaft sind, in der diese Frau gefangen wurde und hier her gebracht. Denn sie weiß nichts über den rechten Gott sondern lebt schier ärger als das Vieh. Gott möge auch sie zu seiner Anerkennung bekehren. Amen.
Gedruckt in Augsburg durch Mattheus Francken
Tätowierte “Wilde” als Attraktion in Europa, 1560-1690: Teil II
Wie versprochen kommt hier Teil II meiner kleinen Serie über tätowierte Stämme, die im Zeitalter der Entdeckungen entführt und in Europa zur Schau gestellt wurden. Die vier Inuit aus Grönland, um die es heute geht, wurden als ethnografische Objekte für das Kuriositätenkabinet von König Friedrich III “erworben”, während einer Entdeckungsreise im Jahre 1654 zu unerforschten Landstrichen im hohen Norden.
Natürlich folgten zahllose Verschleppungen von Inuit im 17. und 18. Jahrhundert. Als die Inuit aus dem Godthaab Fjord in Europa ankamen, war König Friedrich III so begeistert, dass er sie auf einem großen Ölgemälde porträtieren ließ. Und durch zwei winzige Skulpturen aus Gold und Silber, die ihren Platz auf seiner persönlichen Festtafel fanden. Vor einigen Jahren hörte ich sogar, dass zwei der Inuit in einem Familienwappen verewigt wurden!
Allerdings starb der Inuit-Mann auf dem letzten Abschnitt der Reise von Bergen (Norwegen) nach Kopenhagen an einer Krankheit. Also muss das Ölgemälde in Bergen angefertigt worden sein. Das Gemälde zeigt die Inuit mit einem friedlichen Gesichtsausdruck und die Tätowierungen der Frauen wurden sorgfältig dargestellt. Diese Tätowierungen fand man auch auf Mumien, die in Qilakitsoq in den 1970er Jahren entdeckt wurden. Qilakitsoq liegt in jenem Gebiet, aus dem die Inuit vor langer Zeit entführt wurden.
Der König wollte die Frauen zurück nach Grönland schicken, wenn sie die Sprache und die Lehren der christlichen Religion angenommen hätten. Doch während seiner Regentschaft segelte kein Schiff mehr nach Grönland. Die Inuit lebten einige Jahre in Kopenhagen und starben schließlich an Typhus. Zu diesem Zeitpunkt, so berichtet eine Quelle, “hatten sie gut Dänisch gelernt und waren artig geworden.”