Deja vu oder was...
Vor einiger Zeit saß ich in meinem Studio und wartete auf eine Kundin, die sich für eine "Tattoobesprechung" angemeldet hatte. Das Mädel kam auch pünktlich und eröffnete mir ohne Umschweife ihren "kreativen" Tattoowunsch: "Den Namen ihrer Tochter auf chinesisch"
Chinesisch - ganz was neues. Auf meine Frage hin, warum sie sich den Namen in Chinesischen Schriftzeichen stechen lassen wolle, sah sie mich recht erstaunt an und meinte "weil es mir gefällt". Gut, in Zeiten, in welchen im abendlichen TV-Programm "bedeutungsschwangere" Tattoos propagiert werden freu ich mich ja eigentlich schon, wenn jemand diese banale Formulierung wählt um seinen Tattoowunsch zu begründen. Jedoch bringt mich die Häufigkeit dieser Aussage im Zusammenhang mit "fremden" Schriftzeichen dazu nachzuhaken. Ich fragte meine Kundin ob der Vater ihrer Tochter denn Chinese sei. Lachend verneinte sie diese Frage. Auch währe sie noch nie in China gewesen, noch würde sie da mal hin wollen... "Ja aber, warum in Dreiherrgotsnamen willst Du dann ausgerechnet chinesische Schriftzeichen, wenn Du keinen Bezug zu dem Land und seinen Bewohnern hast?" - "Wie schon gesagt, weil mir die Zeichen gefallen..." Und da war es plötzlich mein Deja vu - Gefühl. Woran erinnerte mich die ganze Situation? Nach kurzem Überlegen wusste ich es. Vor ein Paar Jahren hatte ich ähnliche Kundenaussagen zu einer ganz anderen Tattooart: Dem Steißbeintribal (böse: Arschgeweih). Nachdem damals Sabrina Setlur in einem rückenfreien Kleid das ihr Steißtattoo gut zur Geltung brachte im Fernsehen zu sehen war - verging kaum ein Tag an dem nicht ein Mädel in meinen Laden stolperte und auch so ein "Geschnörksel am unteren Rücken" verlangte. Auf meine damalige Frage: "Was bringt Dich zu diesem Tattoowunsch (was bin ich doch für ein neugieriges Tätowiererlein)" antwortete jede wie aus der Pistole geschossen:"Weil es mir gut gefällt" Wie die Geschichte weiterging wissen wir alle. Nachdem die Regenbogenpresse zuerst die "Miss-Arschgeweih" wählen ließ und sich Michael Mittermeier über die "Schlampenstempel" lustig gemacht hatte waren Tattoos am Steiß plötzlich total OUT.
Keine wollte mehr eins haben und die die schon eins hatten wollten es am liebsten wieder weghaben. Heute kommen regelmäßig Mädels zu mir und wollen ihr Arschgeweih (das ihnen ja mal sooo gut gefallen hat) überstechen lassen...
Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los das mich eine ähnliche "Coverup-welle" bei den chinesischen Zeichen erwarten wird. Denn wie damals zufällig der Fernsehauftritt von Sabrina Setlur mit dem "Arschgeweih-Hype" zusammenfiel - scheint es schon wieder eine Parallele zwischen einem "Star" und einem Tattoostil zu geben. Nachdem bekannt wurde das Sahra Connor chinesische Zeichen auf der Wirbelsäule trägt, vergeht keine Woche ohne das mindestens zwei meiner Kunden auch asiatische Schriftzeichen wünschen...
Ich gönne jedem das Tattoo das er/sie sich wünscht, aber wenn ich Bedenken habe das sich einer meiner Kunden ein Tattoo nur aus einer "Modelaune" heraus stechen lassen will, dann muss er/sie mich überzeugen, das mehr dahinter steckt als nur der Wunsch "dazuzugehören".
Ich erkläre es dann meistens mit den Worten: "wenn mir ein Statement so wichtig ist, das ich es ein Leben lang auf meiner Haut tragen will, dann sollte es wenigstens in einer Schrift geschrieben sein die ich auch selber lesen kann..." Den ein oder anderen Kunden habe ich durch diese Aussage bestimmt schon verloren, das aber wenigstens mit gutem Gewissen.
Die Kundin vom Anfang trägt nun seit einiger Zeit den Namen ihrer Tochter in einer schönen Schreibschrift auf dem linken Innenarm. Gestern war sie wieder da um mit mir ein neues Tattoo zu planen. Stolz zeigte sie mir den bereits abgeheilten Schriftzug mit den Worten: "ich bin so froh, das ich mich gegen die chinesischen Zeichen entschieden habe - die hat ja schon jeder zweite in meinem Bekanntenkreis..."
Es gibt Tage da liebe ich meinen Beruf noch mehr als sowieso schon.
Bunte Grüße
thINK